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Zusammenhang zwischen Intelligenz und
Arbeitsgedächtnis
Einige der einflussreichsten
Intelligenztheorien sehen eine Unterteilung der generellen Intelligenz (G) in
zwei Komponenten vor: Kristalline
Intelligenz (Gc) und
Fluide
Intelligenz (Gf) (Carroll,
1993). Während sich Gc auf erworbenes Wissen (z.B. Faktenwissen, Wortschatz,
erlernte Fertigkeiten) bezieht und mit Aufgaben zur Messung des
Allgemeinwissens oder des Wortschatzes gemessen werden kann, bezeichnet Gf die
Fähigkeit des logischen Denkens und Problemlösens in neuen Situationen
(Cattell, 1987).
Fluide Intelligenztestaufgaben verlangen vom
Probanden Muster und Beziehungen zu erkennen um auf Regelhaftigkeiten zu schließen,
ohne dabei auf Vorwissen zurückgreifen zu können (Horn & Cattell,
1966).
Als prototypische Aufgaben zur Messung
von fluider Intelligenz gelten schlussfolgerndes Denken erfordernde
Matrizen-Aufgaben wie bspw. die häufig eingesetzten
Advanced Progressive
Matrices von Raven (RAPM;
1990). Der Versuchsperson (VP) werden dabei unterschiedliche Muster in einer
3x3-Matrix präsentiert, die in einer logischen Beziehung zueinander stehen.
Eine Parzelle der Matrix ist jedoch leer. Die Aufgabe der VP besteht darin,
die zugrunde liegende Regel zu erschließen und das fehlende Teil der Matrix
aus einer Reihe an Lösungsmöglichkeiten
auszuwählen.
Als Instrumente der
Differentiellen Psychologie wurden fluide Intelligenztests vor allem zur Detektion
von inter-individuellen Unterschieden in der geistigen Leistungsfähigkeit
entwickelt und eingesetzt. Ihre größte Vorhersagekraft weisen sie für Leistungen in
Schule und Universität, aber auch für kognitiv anspruchsvolle Berufstätigkeiten auf
(Floyd, Evans & McGrew, 2003; Fuchs, Fuchs, Compton, Powell, Seethaler,
Capizzi, Schatschneider & Fletcher, 2006; Gottfredson,
1997).
In
Lehrbüchern der Kognitiven Psychologie sucht man den Intelligenzbegriff dagegen
häufig vergeblich. Dabei stammt aus der Kognitiven Psychologie jenes theoretische
Konstrukt zur Informationsverarbeitung, welches zum jetzigen Forschungsstand am
besten mit Gf- Maßen korreliert und somit zur Aufdeckung von Gf-relevanten
kognitiven Prozesse beitragen könnte:
Das Arbeitsgedächtnis (AG)
(Oberauer, Schulze, Wilhelm & Süß,
2005).
Das AG ist definiert als kognitives System, welches
ermöglicht trotz konkurrierender Prozesse und Distraktionen Informationen
aufrechtzuerhalten und zu manipulieren.
Frühe Arbeitsgedächtnismodelle
postulierten die Existenz materialspezifischer Kurzzeitspeicher-Module,
welche unter der Kontrolle einer aktiven Manipulationskomponente (Zentrale
Exekutive) stehen (Baddeley & Hitch, 1974). Jüngere Modelle wie das
Embedded Processes
Model von Cowan (1999) gehen von nur einem Gedächtnisspeicher
aus, in dem spezifische Informationen aktiviert werden können. Eine Teilmenge
dieser aktivierten Informationen kann in den Fokus der Aufmerksamkeit
gelangen, sofern ihnen beim Durchführen kognitiver Operationen Aufmerksamkeit
zu Teil wird. Auch wenn es zwischen diesen derzeit vorherrschenden Modellen
fundamentale Differenzen gibt, so verbindet doch beide Modelle die Existenz
einer übergeordneten Prozess-Komponente (Zentrale Exekutive) und eines (durch
die Aufmerksamkeitskapazität) begrenzten
Gedächtnisspeichers.
Ähnlich Gf-Tests ermöglichen auch Arbeitsgedächtnis-Maße
die Vorhersage schulischer Leistungen (Gathercole, Brown & Pickering,
2003). Von jenen Kindern, deren AG-Leistungen im Bereich der unteren zehn
Perzentile liegen, haben mehr als 80 % substanzielle Probleme im Lesen oder
in Mathematik, in den meisten Fällen sogar in beiden Bereichen (Gathercole,
2008).
Aufgrund der sich verdichtenden Befundlage aus
neuropsychologischen Untersuchungen (Gray, Chabris, & Braver, 2003; Kane
& Engle, 2002), und psychometrischen Daten herrscht mittlerweile Konsens
hinsichtlich der engen Beziehung zwischen fluider Intelligenz und
Arbeitsgedächtnis. Zwar hatten Ackerman, Beier & Boyle (2005) in ihrer
Meta-Analyse von Befunden zur Korrelation zwischen AG-Maßen und Kognitiver
Fähigkeitstests nur eine Gesamtkorrelation von r = .50 gefunden, jedoch wurde
ihre Vorgehensweise in der Folge heftig kritisiert (Oberauer et al., 2005).
Beispielsweise seien auch Aufgaben in die Analyse aufgenommen worden, deren
Validität als AG-Maße fraglich gelte. In einer Reanalyse der Daten von
Ackerman et al. fanden Oberauer et al. (2005) eine wesentlich höhere
Korrelation (r = .85). Auch in anderen Studien finden sich in Abhängigkeit
von den verwendeten Aufgaben und der Analysemethode (Einzelmaße vs. Latente
Variablen) Korrelationen, die von r =
.40 bis r = .90 reichen (Bühner, Krumm & Pick, 2005;
Conway, Kane & Engle, 2003; Engle, Tuholski, Laughlin & Conway, 1999;
Kyllonen & Christal, 1990).
Als etwas direkterer Beziehungsnachweis können auch
AG-Trainingsstudien angesehen werden, in welchen ein Transfer auf Gf-Aufgaben
nachgewiesen werden konnte. Derartige Studien sind nicht nur aus praktischer Sicht
relevant, sondern haben auch das Potential wichtige theoretische Hinweise zum
Zusammenhang zwischen fluider Intelligenz und Arbeitsgedächtnis zu
liefern. Allerdings sind erfolgreiche Trainingsstudien zum jetzigen Zeitpunkt noch
Mangelware und konnten teilweise nicht repliziert werden (Jaeggi et al., 2008;
Jaeggi, Buschkuehl, et al., 2011; Jaeggi, Studer-Luethi et al., 2010; Klingberg et
al. 2005; Redick et al. 2012).
Auch wenn heute
keine Zweifel mehr an der engen Beziehung
zwischen fluider Intelligenz und Arbeitsgedächtnis bestehen, ist
bisher jedoch noch weitgehend unklar, auf welchen kognitiven Prozessen diese
Korrelation beruht. Während manche Autoren meinen, die Aufmerksamkeitskontrolle als
treibende Kraft des Arbeitsgedächtnis und somit als mögliches Bindeglied zu Gf
identifiziert zu haben (Engle et al., 1999), stehen in neueren Erklärungsmodelle
vor allem grundlegende Gedächtnisleistungen im Fokus (z.B. Mogle, Lovett, Stawski,
& Sliwinski, 2008; Colom, Abad, Quiroga, Shih, & Flores-Mendoza, 2008).
Diesen gedächtnisbasierten Theorien zu Folge können Variationen in den
Arbeitsgedächtnisleistungen bspw. durch Unterschiede in der Fähigkeit, auf
Informationen aus dem (Langzeit-) Gedächtnis zuzugreifen, erklärt werden.
Unterstützung für diese Hypothese liefern die Ergebnisse von Mogle et al. (2008),
in der eine starke Korrelation (r = .76) zwischen einem Langzeitgedächtnisfaktor
und einem AG-Faktor nachgewiesen werden konnte. Nach der Prüfung unterschiedlicher
Strukturgleichungsmodelle stellte sich heraus, dass mit dem gebildeten
Langzeitgedächtnisfaktor ein Teil der Varianz in einer Gf- Aufgabe (RAPM) erklärt
werden konnte. Erstaunlicherweise konnte in diesem Modell der AG-Faktor zu keiner
zusätzlichen Varianzaufklärung beitragen. Mogle et al. kommen daher zu der
Schlussfolgerung: „SM processes (e.g., search and retrieval), rather than
maintanance of information in the face of distraction, drive the relationship
between the memory constructs and fluid intelligence” (S. 1075).
Eine Schwäche der Studie von Mogle et al. (2008) ist
allerdings die Erfassung von Gf mit nur einem Maß (RAPM). In einer jüngeren
Studie von Unsworth und Spiller (2010) konnte unter Verwendung mehrerer Gf-Maße
(RAPM, Number Series, Verbal Analogies) gezeigt werden, dass sowohl Unterschiede in
der Aufmerksamkeitskontrolle als auch Variationen im Abruf aus dem
Langzeitgedächtnis zur Erklärung der Beziehung zwischen Arbeitsgedächtnis
und fluider Intelligenz beitragen können. Unsworth und Spiller geben
jedoch zu bedenken, dass ihr Dual-Component
Model of Working Memory Capacity auch nicht in der Lage sei die
Beziehung zwischen Arbeitsgedächtnis und fluider
Intelligenz gänzlich aufzuklären. Daher seien wahrscheinlich noch weitere
Konstrukte notwendig um die Vorhersagekraft des Arbeitsgedächtnisses zu
erklären.
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